ExtrablattLassLiegen

Extrablatt „Lass-Liegen“

Mit diesem Extrablatt erhaltet Ihr von mir ganz bestimmt keine schnelle Sofortlösung! Selbst wenn ich wollte, kann auch ich euch die nicht liefern. Vielmehr möchte ich euch einiges über das Formen von gewünschten Verhalten durch Belohnungen erzählen.

Bedeutung des Kommandos

Euer Hund soll auf ein bestimmtes Kommando Dinge, die er eigentlich gefressen hätte, unversehrt lassen. Dieses Kommando kann auch „Pfui“ sein, ja. Allerdings nur dann, wenn Ihr es nicht schon auf andere Weise (und / oder vor allem mit mäßigem bis geringem Erfolg) versucht habt, eurem Hund beizubringen. In diesem Fall solltet Ihr euch besser für irgendein anderes Wort entscheiden, denn es ist immer leichter ein neues Bild zu malen, als zu versuchen ein Gekritzel zu verbessern.

Sinn und Unsinn

Das ein „Lass-Liegen-Kommando“ Sinn macht, können wir abhaken. Heute will ich aber mal auf den Sinn der Methode hinaus. Ihr Menschen seid schon wirklich ein seltsames Volk. Mittlerweile haben ganz schön viele von euch erkannt, dass sie ihrem Hund Grundgehorsam, Tricks und sogar sportliche Höchstleistungen viel besser vermitteln und nachhaltiger beibringen können, wenn sie gutes Verhalten belohnen, anstatt nicht gewünschtes Verhalten zu bestrafen. Ja, manche von euch kriegen es sogar hin, Verhalten einzig und allein mittels freien Formens (gebildete Hundepsychologinnen nennen das auch gerne „Free-Shaping“) anzulegen. Mensch und Hund fahren sehr gut damit und - seien wir ehrlich – so macht das Lernen mindestens genauso viel Spaß wie das Lehren und die mittels klug gesetzter Belohnungen konditionierten Verhalten sind letztendlich bombenfest. Geht es aber um „verbotene Dinge“, also um Verhalten, die wir Hunde NICHT zeigen, bzw. unterlassen sollen, dann sagt euch das Teufelchen auf eurer Schulter sofort, dass man das natürlich nur mit Strafe, bzw. der Androhung einer solchen hinbekommt. Das Schlimme daran ist, dass Ihr dem Teufelchen auch noch zuhört und auch auf nix anderes kommt! Da wird gerufen und zusammengestaucht oder gar gespritzt oder etwas geworfen oder sogar noch Schlimmeres.

Warum?

Ja, Ihr habt richtig gelesen: Ich, Bertie der Terrier – der, der immer sagt, dass nur Dummköpfe zweisilbige Fragen stellen – ich frage euch jetzt auch mal: Weshalb sollte die Methode des „positiven Verstärkens“, also dem ausgiebigen Belohnen von gutem Verhalten, gerade beim „Lass-Liegen-Training“ nicht funktionieren? Wo sie sich doch schon bei allen möglichen anderen Verhalten tausendfach bewährt hat? Warum glaubt Ihr bitteschön, dass Ihr euren Hund barsch anfahren müsst, wenn ihr einen Pferdapfel erblickt? Was daran bitteschön soll euren Hund beeindrucken, wenn Ihr ihm auf dem Weg zu einem Leberwurstbrot ein „AUSSSSS!“ hinterherschreit und die Leine hinter ihm herwerft? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihr auf diese meine Fragen eine schlüssige Antwort parat habt. Müsst Ihr auch gar nicht. Es reicht mir schon, wenn sie euch ein wenig nachdenklicher machen.

Ein möglicher Trainingsansatz

Und vielleicht kommt Ihr dabei ja auf die Frage des „Wie“: „Wie soll das gehen? Was soll ich denn belohnen?“, „Wann und wie soll ich dieses „Was“ belohnen?“ Ha! Das sind genau die Fragen, die Ihr euch stellen solltet, weil genau die euch weiterbringen werden …

Der alles entscheidende Moment

Bevor er ein Verhalten zeigt muss jeder Hund, wirklich jeder und wirklich „muss“, sich zu diesem Verhalten entscheiden. Diese Entscheidung fällt er jedes Mal (immer, stets, niemals nie) unter Berücksichtigung seiner Vorlieben, seiner Triebe, seines momentanen Zustands (körperlich, geistig, gesundheitlich, …), seiner Laune und seiner bis zu diesem Zeitpunkt dieser Entscheidung gemachten Erfahrungen und des bisher Gelernten. Allerdings dauert diese Entscheidung in aller Regel nicht solange, wie Ihr braucht diesen langen Satz zu lesen. Nein, sie dauert auch nicht solange, wie Ihr braucht um das Wort „Entscheidung“ auszusprechen. In der Regel dauert das solange: „Di“ oder manchmal auch nur „D“ oder, wenn Ihr Glück habt oder wenn Ihr schon gut trainiert habt (manchmal auch beides), dann dauert es sogar ein „Die“. Durch richtig gutes Training könnt Ihr daraus sogar irgendwann ein „Diese“ machen. Wenn ich euch frage, was Ihr wollt, dann dürfte eure Antwort wohl ungefähr so ausfallen: „Ich möchte, dass mein Hund auf unseren Spaziergängen nichts frisst, was einfach so herumliegt!“ Diesen Wunsch will ich euch gar nicht abschlagen. Aber für den Moment, stellen wir ihn erstmal etwas zurück und schauen uns an, was geht! Da komme ich dann gleich schon wieder auf diesen einen, klitzekleinen Moment der Entscheidung. Dieser beinhaltet nämlich ein winziges Zögern, denn die Entscheidung geht ungefähr so … Wahrnehmung: „Wurstbrot!“ – Argumente: „Lecker!“, „Sättigend.“, „Guttuend.! - Mögliche Verhalten: „Einfach weiter laufen.“, „Mal dran schnüffeln …“, „Mal probieren.“, „Happs!“ - Betroffene Hirnareale: 90% Kleinhirn / 10% Großhirn – Die Entscheidung zugunsten „Happs“ liegt bei 99,9% - Dauer der Entscheidung: ca. 0,15 Sekunden – Menschliche Chancen einzugreifen: Keine! Also ist doch kein Training möglich!? Oh, doch! Aber, wie so oft im Training, müsst Ihr auf ein Ziel hin trainieren, anstatt euch am Ziel selbst die Zähne auszubeißen. Es gilt also durch Training erst einmal die Voraussetzungen zu schaffen, dass Ihr überhaupt eine Chance habt, im Ernstfall auf euren kleinen Fresssack einwirken zu können.

Was Ihr wirklich braucht

Wenn Ihr irgendwann euren Hund tatsächlich irgendwann für das „Liegen lassen“ von „X“ (X=ALLES MÖGLICHE) belohnen wollt, benutzt Ihr am besten eine Belohnung „Y“, die besser ist, als alle „X“se auf dieser Welt zusammen. Gibt es diese Belohnung wirklich? Nein! Denn, selbst wenn Ihr so eine Belohnung irgendwann finden würdet, würde sie sich mit jeder Gabe auch ein wenig abnutzen und somit gäbe es halt irgendwann auch wieder ein „X“ das eurem tollen „Y“ überlegen wäre – so wie bei einem Menschen, der ein Jahr lang jeden Abend ein saftiges Filetsteak genießen darf und sich deshalb nach einem Käsebrot sehnt. Dieses „Y“ ist aber auch gar nicht so wichtig, wie Ihr vielleicht glaubt. Nein, das ist es nicht. Viel wichtiger ist das Wissen um ein „B“, das eurem Hund schon mal ein wenig lieber ist, als ein „A“. Denn zu Beginn des Trainings braucht Ihr erst einmal etwas, das euer Hund wohl fressen würde, wenn es nun gar nix anderes gibt („A“) und etwas anderes („B“), für das er mit großer Wahrscheinlichkeit dieses „A“ liegen lassen würde.

Verstärkertest

Solltet Ihr jetzt denken, „Mein Hund frisst sowieso alles!“, dann glaubt bitte einem alten, erfahrenen Terrier, dass selbst der verfressendste Labbi seine gewissen Vorlieben hat und zumindest auch mal kurz darüber nachdenkt, was er zuerst frisst. Solch ein Verstärkertest sollte gut 20 verschiedene Verstärker beinhalten und dabei sollte es sich nicht nur um Futter handeln, sondern Ihr solltet unbedingt auch Objekte testen, von denen Ihr schon ahnt, dass euer Hund da richtig drauf abfährt: Bälle, Spieler, Dummys, Quietscher … Einen solchen Test könnt Ihr natürlich schlecht ein oder zweimal pro Wochen in der Huschu absolvieren, sondern Ihr erledigt ihn am besten zu Hause und auf euren Spaziergang. Allein für diesen Test benötigt Ihr mindestens 6 Wochen (eher mehr) und Ihr solltet zumindest für die ersten 10 Verstärker schon gegeneinander durchgetestet haben, bevor Ihr mit dem eigentlichen Training beginnt.

Euer Marker

Euer Marker ist eure wichtigste Waffe im Kampf um gutes Verhalten. Aber immer noch halten viele von euch ihn für eine Art lästiges Beiwerk, weil der Hund das Lecker doch sowieso bekommt. Bitte, bitte lest unbedingt mein Extrablatt zum Thema Marker, denn auch und gerade beim Lass-Liegen-Training geht es nicht ohne einen starken, gut funktionierenden Marker!

Training

Die ersten Übungen, sowie zumindest die Überprüfungen eurer weiteren Arbeit, absolviert Ihr dann in eurer Huschu, die euch hilft, das Training in die richtigen Bahnen zu lenken und Trainingsfehler von vornherein zu vermeiden. Allerdings kommt Ihr nicht umhin, jeden einzelnen Verstärker auch wieder mehrfach in freier Wildbahn zu bearbeiten! Denn, ohne gründliche Generalisierung könnt Ihr euch sämtliche Trainings sparen, da euer kleiner Racker Wurstbrot, Pferdeapfel und Co. höchst selten in eurer Wohnung, eurem Garten oder dem Übungsgelände eurer Huschu begegnen wird.

Ganz schön lange

Auch wenn Ihr wirklich gut trainiert und nur nebenbei ein bisschen CreDo macht, dann könnt Ihr frühestens in ca. einem Jahr einen Hund euer eigen nennen, der dann tatsächlich ein weggeworfenes Brot liegen lässt und sich stattdessen lieber bei euch seine tolle Superbelohnung abholt.
 




Doch lieber mit Strafe?

Das könnt dem ein oder anderen von euch ein wenig zu lange dauern und das kann ich gut verstehen. Allerdings kann ich keine echten Alternativen erkenn, die ohne Fleiß und Ausdauer funktionieren. Was? Strafe? Na, da wäre ich an eurer Stelle vorsichtig, ob das überhaupt klappen kann und wenn ja, ob diese Methode dann auch wirklich zu einem wünschenswerten Verhalten führen kann.

Wann muss die Strafe erfolgen?

Richtig effektiv strafen will noch besser gelernt sein, als das richtige Belohnen und das ist ja schon schwer genug. Und eins weiß ich genau: Strafe kann ausschließlich nur dann die gewünschte Wirkung zeigen, wenn sie Punktum erfolgt. Und Punktum heißt eben nicht innerhalb von jenen 2 oder gar 3 Sekunden, die so durch die Netzwerke geistern. Nein, ich behaupte unabbringbar, dass Ihr die Strafe maximal ½ Sekunde nach Beginn der Tat setzen müsstet, wenn Ihr sicher gehen wollt, dass euer Hund sich durch diese Strafe von weiteren Versuchen abhalten lässt. In diesem Fall müsstet Ihr wahrscheinlich noch ein weiteres Mal gekonnt strafen und schon hättet Ihr ein verlässliches Meideverhalten konditioniert – für diesen einen Verstärker versteht sich, denn euer Hund wird ganz bestimmt nicht vom Wurstbrot auf den Pferdeapfel generalisieren! Nein, er wird es im Gegenteil erst Recht auch bei anderen Funden probieren und er wird sogar sein Suchverhalten nach solchen Funden intensivieren. Hallo?! Es droht Strafe! Und euer Hund will unbedingt wissen, ob da wieder Dinge liegen, die ihn bestrafen! Das würdet Ihr ja wohl auch wollen: Stellt euch vor Ihr würdet wissen, dass bestimmte Pilze im Wald euch anspucken, manche Bäume Stromschläge verteilen, wenn Ihr ihnen zu nahe kommt oder einige Blumen kreischend klingeln, wenn Ihr auf sie zulauft.

Kann Meideverhalten verlässlich konditioniert werden?

Einfach Frage – einfach Antwort: Ja! Wenn die Strafe von vornherein hoch genug, zzgl. eines gewissen Puffers, angesetzt wurde und der Hund aus diesem Grund das unerwünschte Verhalten durch ein entsprechendes Meiderverhalten ersetzt. Setzt Ihr die Strafe anfangs zu niedrig an, dann setzt sofort (in jedem Fall, umgehend, nicht erst irgendwann) ein Gewöhnungsprozess ein, der dafür sorgt, dass ihr irgendwann nicht mehr hart genug bestrafen könnt, weil das dann im schlimmsten Fall sogar den Tod eures kleinen Lieblings zur Folge hätte. Das allerdings wäre höchst effektiv, da euer Hund nunmehr das ungewünschte Verhalten mit einhundertprozentiger Sicherheit niemals mehr zeigen wird.

Uups! Wie Hart muss die Strafe denn sein?

Jedes Mal, wenn er einem solchen gezüchteten Stressor (schon ein oder mehrere Mal nicht hart genug bestrafter Reiz) begegnet, wird euer Hund seine Strategie ein wenig abwandeln.

Er wird abwägen …

- Ob die Strafe vielleicht doch nicht so hoch ist - Ob der Wert der Beute die Höhe der Strafe übersteigt - Ob er einfach nur schneller sein muss - Ob Ihr auch wirklich aufpasst

… und dann zuschnappen!

Und schon im nächsten Moment wird Kopf und Schwanz einziehen und beschwichtigen, was das Zeug hält und / oder die Flucht antreten. Und Ihr? Ihr kriegt, gelinde gesagt, so’n dicken Hals und nehmt euch vor beim nächsten Mal noch härter durchzugreifen – dieser Mistköter, das geht ja gar nicht! Eben. Das geht auch nicht – weil nämlich die Methode nicht funktioniert. Nicht funktionieren kann, besser gesagt. Es sei denn, Ihr wählt die gerade schon erwähnte Endlösung, aber die kommt für die allermeisten von euch ja hoffentlich nicht in Frage.

Reizmagnetismus

Mit jeder Reizkonfrontation wird der Reiz selbst den Pluspol eines Magneten darstellen und die Aussicht auf die Strafe den Minuspol. Euer Hund ist erstmal auf Minus gepolt: Hunger, Verlangen, Gier – all das sorgt für ein Bedürfnis und das will befriedigt wegen. Plus zieht Minus an, also zieht die vermeintliche Beute auch euren Hund an. Abstoßend wirkt in der Straftheorie dabei eben die Angst vor den Folgen der Handlung, also die Strafe. Erlebt der Hund direkt im allerersten Moment der Konfrontation, also noch als Welpe in der Sozialisierungsphase, eine souveräne und trotzdem oder gerade deshalb, im wahrsten Sinne des Wortes schreckhafte Zurechtweisung durch seine Bezugsperson, dann wird diese EINMALIGE Bestrafung ausreichen um in Zukunft allenfalls noch ermahnend die Stimme erheben zu müssen, wenn der Welpe wieder mit einem ähnlichen Reiz (herumliegende Beute) konfrontiert wird. Diese Zurechtweisung muss dabei gar nicht mit Schmerz verbunden sein, sondern sie muss vor allen Dingen die Aufnahme verhindern(!) und den Welpen wirklich beeindrucken.

Strafe beim älteren Hund

Mit jeder bereits erfolgten Aufnahme aber, erhöht sich der Magnetismus des Reizes exponentiell und so müsst(et) Ihr auch die Strafe exponentiell erhöhen, wenn sie denn einen ausreichend starken Gegenpol darstellen soll. Und trotzdem besteht dann immer noch und erst Recht die Möglichkeit eins Kurzschlusses, der euren Minuspol „Strafe“ mal eben umgeht. So wie der Bösewicht im Film, der mal eben das Auto kurzschließt und somit alle Sicherungssysteme umgeht. Übersetzt auf euren Hund heißt das … - Hat euer Hund also schon ein- oder mehrmals etwas (Verbotenes) gefressen, dann könnt Ihr die Nummer mit der Strafe vergessen! - Habt Ihr es schon mit Strafe versucht, könnt Ihr weitere Versuche unterlassen, da Ihr gar nicht in der Lage seid, so hart zu strafen, dass sowohl die Gewöhnung an die Strafe, als auch die bisherigen Erfolge von euch besiegt werden könnten! - Wisst Ihr nicht um die Vorgeschichte eures Hundes, weil Ihr ihn als gebrauchtes Modell bekommen habt, tendiert die Möglichkeit über Strafe zum Erfolg zu gelangen, klar gegen Null! Für Hunde, die auf der Straße gelebt haben, ist das Vertilgen von für die liegen gelassenen Geschenken keine Frage der Wahl, sondern eine erlernte Notwendigkeit. Solche Funde – ob zufällig oder in der Abfalltonne aufgestöbert – sorgten einst für ihr Überleben! Ohne wären sie verhungert! Für sie ist und bleibt es für immer kein billiger Snack, sondern ein Geschenk des Himmels! Wie sollte Strafe sie davon abhalten können, dieses Geschenk anzunehmen?

Ein besserer Pluspol bringt‘s!

Ha! Das kann ich euch sagen: Ein noch besseres Geschenk des Himmels könnte das schaffen! Und zwar bei (fast) jedem Hund dieser Welt! Ein Pluspol der eurem kleinen Racker verspricht (und dieses Versprechen auch stets hält): Wenn Du „was auch immer“ einfach liegen lässt, dann erhältst Du dafür von mir stets etwas noch viel Tolleres in doppelter Menge! Diesen Pluspol könnt Ihr euch aber weder malen, noch kaufen und schon gar nicht bekommt Ihr ihn einfach so geschenkt. Nein, Ihr müsst ihn euch hart erarbeiten und mühsam aufbauen. Stück für Stück. Grad für Grad. Verstärker für Verstärker.

Viel Spaß beim Üben

Euer Bertie


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